Politik mit Stil

„Demokratie funktioniert nur mit Demokraten“

Herr Frei, vor einigen Tagen hat sich der AfD-Flügel, nach Beschluss des Vorstands, aufgelöst. Wie werten Sie diesen Beschluss? Ist das ein Schritt in die richtige Richtung oder ist das nur zur Selbstverharmlosung?

Natürlich ist es ein richtiger Schritt. Aber es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass damit alles erledigt wäre, denn der Flügel war ja nur ein loser Zusammenschluss innerhalb der AfD. Dadurch hat die Auflösung für sich genommen noch keine Bedeutung, denn die Personen, die für den Flügel stehen, wie Kalbitz und Höcke, sind weiterhin in der AfD und haben wesentliche Funktionen und Einfluss auf die Meinungsbildung in der Partei. Deswegen wäre die einzig konsequente Handlung, Personen mit einem derartigen Gedankengut auch aus der Partei auszuschließen. Nur das wäre eine glaubhafte Brandmauer in den rechtsextremen Bereichen. Doch dazu ist die AfD ganz offensichtlich nicht bereit.

Wie wir sehen konnten, hat die AfD in den vergangenen Landtagswahlen – insbesondere im Osten – sehr stark gewonnen. Ein Großteil dieser Wähler gibt ja auch an, unzufrieden mit der Demokratie zu sein. Was hat denn die Demokratie falsch gemacht?

Ich glaube nicht, dass die Demokratie etwas falsch gemacht hat! Denn in der Demokratie ist es eben so, dass dem einzelnen mündigen Bürger relativ viel abverlangt wird. Demokratie funktioniert eben nur mit Demokraten und auch nur dann, wenn die Menschen sich mit ihr identifizieren, mitmachen und ihren Teil dazu beitragen. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend.
Jetzt kann man natürlich immer über Bringschuld von Politik und Politikern sprechen. Das ist auch alles in Ordnung und damit bin ich immer einverstanden. Aber ich glaube, es muss schon klar werden, dass etwas dafür getan werden muss, um unsere liberale, offene, demokratische Gesellschaftsordnung auch in Zukunft zu sichern. Und dann reicht es nicht, auf andere zu warten. Das ist vielleicht für manche auch ein Stück Zumutung, aber notwendig, denn anders geht es nicht.

Haben sie, als CDU, die seit rund 15 Jahren in diesem Jahrhundert Verantwortung trägt, die heutigen AfD-Wähler in der Vergangenheit vernachlässigt?

Man ist natürlich immer gut beraten, die Fehler zunächst bei sich selbst zu suchen, bevor man sie bei anderen sucht. In einem zweiten Schritt muss man auch prüfen, ob es gelungen ist, die eigenen Entscheidungen richtig zu kommunizieren und auch zu erklären, welche weitere Entwicklung von Land und Gesellschaft man realisieren möchte. Das sind sicherlich Fragen, denen man sich stellen muss. Sie haben vollkommen Recht, dass man, wenn andere Parteien – insbesondere die an den Rändern – an Zuspruch gewinnen und man selber in Wahlen an Zuspruch verliert, tatsächlich schauen muss, woran das liegt. Ob das am eigenen Politikangebot liegt, wie man es darstellt, oder ob sozusagen die eigenen Positionen nicht mehrheitsfähig sind. Ich tue das jedenfalls, indem ich, Entscheidungen treffe, nachdem ich mit vielen Menschen – insbesondere in meinem Wahlkreis – gesprochen und mir viele Argumente für und wider etwas angehört und abgewogen habe. Dann entscheide ich mich für das, was ich für vernünftig und richtig erachte.

Weil sie gerade den inhaltlichen Aspekt nannten: Welche inhaltlichen Punkte wurden von der CDU in den letzten Jahren vernachlässigt?

So pauschal kann man das nicht sagen. Denn man darf eines nicht übersehen: Die Union hat in den vergangenen 15 Jahren im Bund Verantwortung getragen. Auch deswegen haben wir jetzt zehn Jahre Hochkonjunktur hinter uns, ein beispielloses Wirtschaftswachstum, steigende Löhne, steigende Renten und ein Rekordtief an Arbeitslosigkeit. Das Ganze ist ja auch durch die politischen Rahmen-bedingungen und Entscheidungen möglich gewesen. Deswegen würde ich davor warnen, die Dinge schlecht zu reden. Wenn man sich die Wähler der AfD anschaut, dann fällt auf, dass die ironischerweise ja von allen Parteien mehr oder weniger gespeist werden, aber zum großen Teil eben auch aus dem Lager der bisherigen Nichtwähler. Das deutet natürlich alles darauf hin, dass dieser Anteil gerade einfach nur unzufrieden ist. Die wählen die AfD also nicht, weil sie von ihren Inhalten überzeugt sind, sondern weil sie glauben, dass sie damit am wirkungsvollsten ihren Protest zum Ausdruck bringen, und dieser Anteil ist in der AfD-Wählerschaft mit Sicherheit groß. Wir selbst sollten natürlich auch schauen, welche Defizite wir haben. Aber am Ende des Tages wird es auch Wähler geben, bei denen muss man sagen „nee“, die können und wollen wir auch nicht kriegen, weil wir dafür unsere Programmatik verbiegen müssten und dazu wäre ich nicht bereit.

Laut einer Recherche ist oftmals die AfD in den Wahlkreisen stark, in denen früher die NSDAP stark war. Droht uns eine Wiederholung der Geschichte?

Die erste Feststellung kann ich weder verifizieren, noch falsifizieren, denn ich weiß es schlicht nicht. Zur zweiten Feststellung: Ich halte es für falsch jetzt über Weimarer Verhältnisse oder dergleichen zu reden, denn die Situation ist ja so, dass wir heute eine völlig andere Gesellschaft haben, die aus einer stabilen Demokratie und einem stabilen Rechtsstaat erwachsen ist. Die Menschen verfügen gerade in gesellschaftspolitischen Fragen, über ein sehr viel breiteres Wissen, was die Zusammenhänge anbelangt. Sie haben ein ausgeprägtes Selbstverständnis, sich einzumischen, Fehlentwicklungen offen anzusprechen und ihr Land mitzugestalten. Durch das Internet und die vernetzte Welt sind alle Menschen in der Lage, Informationen von überall her zu beziehen. Das kann man alles nicht vergleichen mit der der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Deswegen glaube ich, dass das kein realistisches Szenario ist.

Kommen wir mal zum Verhältnis der CDU gegenüber den Linken und der AfD. Zwischen 2008 und 2017 wurden rund 20.000 rechte Straftaten und rund 6.000 linke Straftaten verübt. Würden Sie nicht sagen, dass Ihre Abgrenzung zur Linkspartei die AfD verharmlost?

Nein, das würde ich überhaupt nicht sagen. Zum einen ist es vollkommen klar, dass für uns schon rein programmatisch als Union eine inhaltliche Zusammenarbeit weder mit der AfD noch mit der Linken möglich ist. Wenn Sie z. B. Bundestagsdebatten zur Außenpolitik verfolgen, dann sehen Sie, dass AfD und Linke im Grunde genommen deckungsgleich argumentieren: Sie verharmlosen beide Russland und argumentieren immer mit einer gewissen Amerikafeindlichkeit. Und gerade bei außenpolitischen Entscheidungen, die wir für Deutschland treffen, ist die komplette Ablehnung von Bundeswehrmandaten und der NATO bei der Linken häufig ganz ähnlich begründet wie bei der AfD. Auch in der Gesellschaftspolitik haben wir fundamental andere Vorstellungen. Und Teile der Linken werden vom Verfassungsschutz unter die Lupe genommen. Da gibt es also keine Möglichkeit für eine Zusammenarbeit. Wir lehnen sie doch aus unterschiedlichen Erwägungen ab, kommen dann aber zum gleichen Ergebnis. Und das, was sie vorher an Zahlen angesprochen haben, bezieht sich ja nicht auf politische Rechts- und Linksaußen, sondern auf Rechtsextremisten und Rechtsterroristen und das gleiche auch auf der linken Seite. Wenn wir uns aus allen Bereichen die Zahlen ansehen, dann sehen wir, dass wir Gefährdungen für die Demokratie aus dem linksradikalen, rechtsradikalen, dem islamistischen Bereich haben. Derzeit mit Abstand am größten dürfte sie im Bereich des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sein. Deswegen haben wir dort auch besondere Anstrengungen unternommen. Wir hatten erst im letzten Herbst 600 zusätzliche Stellen beim Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz explizit für die Bekämpfung des Rechtsextremismus geschaffen. Daher kann man auch nicht sagen, dass man da irgendeine Gefahr verharmlosen würde. Wir sagen ganz klar, dass die derzeit größte Herausforderung für die Demokratie von rechts kommt. Außerdem kämpfen wir dagegen auch personell und mit Gesetzen, wie dem „Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität“, an. Insofern glaube ich, dass wir mit dieser Herausforderung angemessen umgehen.

Genau über dieses Gesetz wollte ich zum Abschluss gerne sprechen. Ich habe es so verstanden, dass wenn ein Beitrag gepostet wird, der die Grenze der Meinungsfreiheit überschreitet gesperrt und der Publizist verfolgt wird. Verstehe ich das richtig?

Nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz von 2017 ist es ja heute schon so, dass der Provider verpflichtet ist, Hasspostings vom Netz zu nehmen, also zu löschen. Inhalt dieses Gesetzes ist, dass wir den Provider verpflichten den Postings, die gegen bestimmte Strafvorschriften zu verstoßen drohen, dann zusammen mit den IP-Daten an das Bundeskriminalamt zu leiten und das Bundeskriminalamt bewertet dann, inwieweit strafrechtliche Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft aufzunehmen sind. Der Punkt ist also im Grunde genommen der, dass die Dinge, die in der analogen Welt strafbar sind, im Netz genauso strafbar sind.

Das ist ja ein sehr großer Aufwand…

Das ist es. Dazu werden wir neben dem zusätzlichen Personal sicherlich auch zusätzliche Technik wie KI benötigen. Im Gesetzentwurf sind wir davon ausgegangen, dass es 250.000 bis 300.000 zusätzliche Fälle geben wird, die in möglicherweise etwa 150.000 zusätzliche Ermittlungsverfahren münden könnten. Wir sind uns also schon bewusst, dass es da um gewaltige Zahlen geht. Das ist auch mit entsprechenden Kosten hinterlegt. Der Gesetzentwurf geht von zusätzlichen Kosten in Höhe von etwa 40 Millionen Euro aus.

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